10 Tränen, 100 Zentimeter, 1001 Nacht
- Mona Dean
- 24. Apr. 2024
- 3 Min. Lesezeit
«Zum Einschlafen zu sagen
Ich möchte jemanden einsingen,bei jemandem sitzen und sein.Ich möchte dich wiegen und kleinsingenund begleiten schlafaus und schlafein.Ich möchte der Einzige sein im Haus,der wüßte: die Nacht war kalt.Und möchte horchen herein und hinausin dich, in die Welt, in den Wald.Die Uhren rufen sich schlagend an,und man sieht der Zeit auf den Grund.Und unten geht noch ein fremder Mannund stört einen fremden Hund.Dahinter wird Stille. Ich habe großdie Augen auf dich gelegt;und sie halten dich sanft und lassen dich los,wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.»
(Rilke, 1902/1905)
Du, ja genau du
Nie bin ich mir jedes Atemzuges mehr bewusst
wie wenn du im selben Raum mit mir
Gedanken und Regung kreisen von
meinem schüchternen Mund in meinen verwirrten Kopf
rutschen ungebändigt weiter runter und hinterlassen mir
ein flaues Gefühl in der Magengrube
Ich schlucke, krächze, will mich räuspern und
die Worte aus meinen Tiefen rausfischen
Doch diese schlagen mir ein Schnippchen und machen einen erneuten Bogen
rutschen mir durch die Finger wie glitschige Karpfen
umschlingen sich und fahren Slalom auf der Rennbahn meines inneren Befindens
schlängeln sich in meinen Bauch, direkt zu meinem pochenden Herzchen
Ich spanne jede Faser meines Körpers an und verdamme sie
zitiere sie mit letzter Willenskraft zurück in meinen Kopf
verweise sie meines Mundes, wo sie mir dann
bruchstückhaft über die Lippen kullern wie salzige Schweissperlen
oder schwere Tränen
Und wenn ich da so sitze auf dem Sofa neben dir und zuschaue
wie sich das verknautschte Sofakissen an deinen Oberschenkel schmiegt
dann lerne ich, wie weit ein Meter sich anfühlen kann
Bin ganz überrascht, weil ein Meter besteht aus 100 Zentimetern
und das ist hundert Mal zu weit weg
Ja ich weiss, wir hatten das alles schon Mal
Mehrmals, etliche Male
Etliche Momente des Überhandnehmens von Unausgesprochenem
mit einer derartigen Urgewalt
die nachhallt
Eine ehrliche Wahrheit, die nachhallt und mich einholt
wie ein Läufer im Traum
Und auch wenn ich trainiere wie eine Marathonläuferin
jede Nacht schneller werde auf der Rennbahn
so holt sie mich immer wieder ein
Sie, der Läufer, die Wahrheit, kommt stets in verschiedenen Gewändern
So habe ich dich getroffen vor dem letzten Gericht, auf einem Hügel
während der Tsunami über das Land einbricht
Du hast mir schon sorgfältig das Strumpfband meiner weissen Strapsen zu unzähligen Knoten
mit deinen sanften Fingern zusammengeknotet
Der Knoten in meiner Brust löst sich
wenn sie sich schmiegt an deine Brust
die mir wurde zu einer Höhle, in der ich Zuflucht fand
wie mich deine Arme von hinten umschlingen,
so sie mich lehrten, was es bedeutet
aufatmen zu können
Der erste schüchterne Gutenacht-Kuss vor meinem Elternhaus sowie der letzte Kuss
bevor die Welt in der Sintflut untergeht,
beide kamen natürlich von dir
1001 Nacht mit dir in vernebelten Realitäten
und es reicht immer noch nicht
1001 Mal deine Lippen berührt, diese nie richtig gespürt
Deinen Atem ganz nah auf meiner Haut
und doch nicht nah genug
Dein Blick, der mir die Wahrheit sagt
und doch so viel Ungesagtes zwischen uns streut
1001 Nacht liege ich wach, das Nachthemd klatschnass über den Schultern
um Atem ringend
Und ich greife und greife tapsig im Halbdunkeln
nach deinem vermeintlichem Schemen
sich im faden Mondlicht auf die Betthälfte neben mir zeichnet
Kneife verzweifelt die Augen zusammen und höre zwei Herzen
wie sie da so liegen und vor sich her pochen, Herzpochen
asynchron im Zwielicht der Uneinigkeit
Die Dämmerung, in der wir uns verstecken
Uns mit Unentschlossenheit bedecken
weil wir hier haben erfahren Berechtigung und uns nicht können verlieren
Die Grauzone, die unser ewiger wird Zufluchtsort bleiben
Lauwarme Körper sich schutzsuchend aneinanderreiben
Und schon kneife ich die Augen so sehr zusammen
dass sie Tränen, weil ich das Morgenlicht will verbannen
Ich taste nach dir, doch wie ein Schatten im Licht der aufgehenden Sonne
bist du plötzlich verschwunden
Was für eine Erleichterung, hätte ich uns doch nur endlich gefunden!
Aber auch wenn du verschwindest
weg bist du nie
Da bist du und warst es schon lange
Gewesen bist du es immer da und es bist du
Im Nebel, in der Dämmerung, in der Erinnerung
In der Nacht, im Licht, im Traum, in einem zeitlosen Raum
Könntest es immer sein
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