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10 Tränen, 100 Zentimeter, 1001 Nacht

«Zum Einschlafen zu sagen

Ich möchte jemanden einsingen,bei jemandem sitzen und sein.Ich möchte dich wiegen und kleinsingenund begleiten schlafaus und schlafein.Ich möchte der Einzige sein im Haus,der wüßte: die Nacht war kalt.Und möchte horchen herein und hinausin dich, in die Welt, in den Wald.Die Uhren rufen sich schlagend an,und man sieht der Zeit auf den Grund.Und unten geht noch ein fremder Mannund stört einen fremden Hund.Dahinter wird Stille. Ich habe großdie Augen auf dich gelegt;und sie halten dich sanft und lassen dich los,wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.»

(Rilke, 1902/1905)

 

Du, ja genau du


Nie bin ich mir jedes Atemzuges mehr bewusst

wie wenn du im selben Raum mit mir

Gedanken und Regung kreisen von

meinem schüchternen Mund in meinen verwirrten Kopf

rutschen ungebändigt weiter runter und hinterlassen mir

 ein flaues Gefühl in der Magengrube

 

Ich schlucke, krächze, will mich räuspern und

die Worte aus meinen Tiefen rausfischen

Doch diese schlagen mir ein Schnippchen und machen einen erneuten Bogen

rutschen mir durch die Finger wie glitschige Karpfen

umschlingen sich und fahren Slalom auf der Rennbahn meines inneren Befindens

schlängeln sich in meinen Bauch, direkt zu meinem pochenden Herzchen

 

Ich spanne jede Faser meines Körpers an und verdamme sie

zitiere sie mit letzter Willenskraft zurück in meinen Kopf

verweise sie meines Mundes, wo sie mir dann

bruchstückhaft über die Lippen kullern wie salzige Schweissperlen

oder schwere Tränen

 

Und wenn ich da so sitze auf dem Sofa neben dir und zuschaue

wie sich das verknautschte Sofakissen an deinen Oberschenkel schmiegt

dann lerne ich, wie weit ein Meter sich anfühlen kann

Bin ganz überrascht, weil ein Meter besteht aus 100 Zentimetern

und das ist hundert Mal zu weit weg

 

Ja ich weiss, wir hatten das alles schon Mal

Mehrmals, etliche Male

Etliche Momente des Überhandnehmens von Unausgesprochenem

mit einer derartigen Urgewalt

die nachhallt

 

Eine ehrliche Wahrheit, die nachhallt und mich einholt

wie ein Läufer im Traum

Und auch wenn ich trainiere wie eine Marathonläuferin

jede Nacht schneller werde auf der Rennbahn

so holt sie mich immer wieder ein

 

Sie, der Läufer, die Wahrheit, kommt stets in verschiedenen Gewändern

So habe ich dich getroffen vor dem letzten Gericht, auf einem Hügel

während der Tsunami über das Land einbricht

Du hast mir schon sorgfältig das Strumpfband meiner weissen Strapsen zu unzähligen Knoten

mit deinen sanften Fingern zusammengeknotet

Der Knoten in meiner Brust löst sich

wenn sie sich schmiegt an deine Brust

die mir wurde zu einer Höhle, in der ich Zuflucht fand

wie mich deine Arme von hinten umschlingen,

so sie mich lehrten, was es bedeutet

aufatmen zu können

Der erste schüchterne Gutenacht-Kuss vor meinem Elternhaus sowie der letzte Kuss

bevor die Welt in der Sintflut untergeht,

beide kamen natürlich von dir

 

1001 Nacht mit dir in vernebelten Realitäten

und es reicht immer noch nicht

1001 Mal deine Lippen berührt, diese nie richtig gespürt

Deinen Atem ganz nah auf meiner Haut

und doch nicht nah genug

Dein Blick, der mir die Wahrheit sagt

und doch so viel Ungesagtes zwischen uns streut

1001 Nacht liege ich wach, das Nachthemd klatschnass über den Schultern

um Atem ringend

 

Und ich greife und greife tapsig im Halbdunkeln

nach deinem vermeintlichem Schemen

sich im faden Mondlicht auf die Betthälfte neben mir zeichnet

Kneife verzweifelt die Augen zusammen und höre zwei Herzen

wie sie da so liegen und vor sich her pochen, Herzpochen

asynchron im Zwielicht der Uneinigkeit

 

Die Dämmerung, in der wir uns verstecken

Uns mit Unentschlossenheit bedecken

weil wir hier haben erfahren Berechtigung und uns nicht können verlieren

Die Grauzone, die unser ewiger wird Zufluchtsort bleiben

Lauwarme Körper sich schutzsuchend aneinanderreiben

Und schon kneife ich die Augen so sehr zusammen

dass sie Tränen, weil ich das Morgenlicht will verbannen

Ich taste nach dir, doch wie ein Schatten im Licht der aufgehenden Sonne

bist du plötzlich verschwunden

Was für eine Erleichterung, hätte ich uns doch nur endlich gefunden!

 

Aber auch wenn du verschwindest

weg bist du nie

Da bist du und warst es schon lange

Gewesen bist du es immer da und es bist du

Im Nebel, in der Dämmerung, in der Erinnerung

In der Nacht, im Licht, im Traum, in einem zeitlosen Raum

Könntest es immer sein

 
 
 

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