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Basel, my Love

Ich fahre durch die leere Innenstadt mit dem lauen Nachtwind in den Haaren, der diesen sonnigen Frühlingstag gebührend ausklingen lässt. Denke daran, wie ich vor acht Jahren nach Feierabend durch die Altstadt spaziert bin und sich nichts an meiner Aufregung und Vorfreude auf das Leben geändert hat. Eine Grundnaivität, die bestehen bleibt, daran möchte ich zumindest glauben.

Heute morgen wurde ich vom Sonnenschein wachgeküsst und durfte somit produktiv in den Tag starten. Zum Mittag wurde dann angestossen, nicht anlässlich eines besonderen Umstands, nein, sondern auf das Leben und den Tag an sich. Ich will nicht sagen, dass jeder Tag Gelegenheit zum Anstossen bieten sollte – das wäre schlicht und einfach überrissen. Und doch ist es ein Grund zum Anstossen, wenn ein solcher Tag einen Grund zum anstossen bietet.


Um mich herum erwacht alles zum Leben, ja ich bin und bleibe ein Frühlingskind. Stelle mir immer wieder die Frage, was mich denn an dieser Stadt so hält. Probiere zu differenzieren, wie viel an der Stadt selbst liegt und wie viel an meiner Wahrnehmung. Und wie viel liegt eigentlich an der Zeitdimension, mit welcher ich meine Umgebung frame und indessen wahrnehme?


Ich sitze auf dem Fahrrad nach diesem perfekten Tag und frage mich, ob ich mein Selbst zu sehr von Erinnerung speise. Von der Verbindung der Erinnerung mit dem Jetzt, all den von mir und euch über die Jahre mit Leben angehauchten Orten, welche im Umkehrschluss das Gefühl von Zeitlosigkeit vermitteln. Dieses Gefühl nimmt mir auch jegliche Furcht, dass mir hier jemals die Decke auf den Kopf fallen könnte. Basel. Du erwachst auch wieder und trotzdem hast du für mich nie wirklich geschlafen. Ich fahre durch die vielen verwinkelten Strassen und Sackgassen und muss mir keine Gedanken über den Weg machen. Und während mich meine zwei Räder durch die Stadt tragen, fühle ich mich eins mit dem von mir begangenen Weg, als würde die Route, die ich Zeichne, meine verlängerten Glieder darstellen. Als wäre ich eine Riesenspinne mit tausend Armen und Beinen, welche sich durch die Strassen und Gässlein Basels schlängeln.

« ‘Wie viele Optionen muss man haben, um das Leben noch lebenswert zu finden?’ (…) ‘Ich kann dir keine Antwort geben, weil einzig die Antwort zählt, die du dir selber gibst.’» (Martin Dean (2022): Ein Stück Himmel, S. 133)

Hier weckt mich jeden Morgen der Gesang der Amsel um 4:47 Uhr und lässt mich mit der wichtigen Entscheidung, wie ich denn nun meine Tag gestalten soll, wach im Bett liegen. Ich werde leicht nervös: Weil es so viele Möglichkeiten gibt, weil ich mir so viele Möglichkeiten gebe. Ich bin wach und ich bin lebendig und jeder Tag birgt seinen eigenen Zauber.


Schwinge mich aufs Rad, fahre den Hügel hoch, die gleissende Sonne brennt mir ins Gesicht. Ich lasse nicht los und gebe noch ein letztes Mal alles, bis ich dann die Höhe erreicht habe und sich vor mir ein weites, in goldenes sattes Frühlingslicht getauchtes Feld erstreckt. Fahre das gesamte Feld ab, vorbei an dem Jesus Christus und an dem Bauernhof, bis ich zum mit Apfelbäumen übersäten Berghang komme. Lehne mein Rad an einen Holzpfeiler und lasse mich auf die Wiese fallen, höre wie sich die Gräser im Wind sanft bewegen, während sich die Sonne langsam am Horizont verabschiedet. Ich bin da, hier, dort, im Moment.


Laufe am Rheinweg entlang und die Sonne verwandelt das Wasser in einen goldenen Spiegel, in ein Gewand aus tausend kleinen Diamanten. Während Tiefe und Ruhe den Grundton angeben, bilden Strahlen, Blühen und Schwirren die Höhen. Gehe an Menschen vorbei, fange einzelne Wortfetzen auf und vor meinem inneren Auge schreiben sich Geschichten. Ich spüre Schicksale und ich sehe die Menschen und ihre Lebenswerke. Irgendwann komme ich am Hafen an, es werden weniger Menschen, die mich umgeben und ein mergeliger Geschmack macht sich in meiner Nase breit. Schlängle meinen Weg durch zugebombte Güterzüge und lande im Hafenbecken, wo nur noch der Schwan und ich der ruhenden Industriekulisse Bewegung einhauchen. Die Sonne geht unter zwischen drei Ländern, weil auch sie sich heute nicht für eine Möglichkeit entscheiden mag.


Ich komme zurück nach Hause – zu dir. Weil du immer dagewesen bist und mir immer die Türe offen gelassen hast. Immer meine Familie, mein Zuhause geblieben bist. Und auch wenn wir nicht aktiv einen gemeinsamen Lebensschritt gehen, fühlt es sich an, als würde die Zeit und Distanz unsere Wege erneut annähern. Auch wenn jeder alleine seinen Weg und die damit verbundenen Hürden bestreitet, spüre ich eine sich stets wandelnde Dynamik zwischen uns walten. Versuche nicht zu vergessen, wer ich bin, damit ich überhaupt mit dir sein kann. Hoffe, du gibst mir die Chance. Du bist so warm und wohlig.


Basel, ich spüre keinen Druck und keine Eile, sondern nur eine tiefgreifende Ruhe, welche mich trotzdem antreibt. Du bist wie ein Honigtopf, birgst so viele Möglichkeiten, hast mich erst richtig Leben gelehrt und für das bleibe ich dir ein Leben lang dankbar, dessen kannst du dir gewiss sein.

 
 
 

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