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Der Wille zum Glauben

22.05.2016


Was ist Glaube? Glaube ist überall, integrativer und fester Bestandteil unseres Alltags und doch bedarf der Glaube einer starken Differenzierung. Wir glauben jeden Tag, wir bilden uns Ideologien, knüpfen diese Ideologien an Symbole, glauben an Symbolisierungen, vertrauen in unseren Glauben, erwarten von unserem Glauben, dass er uns nicht im Stich lässt.


Ich denke, ja bin sogar fest überzeugt, dass kein Mensch ohne Glauben überleben kann. Ich denke, jeder Sinnkrise liegt eigentlich eine Glaubenskrise zugrunde. Glaube und Sinn sind untrennbar, der Sinn besteht im Glauben und Glauben ist das sinnvollste, das uns im Leben gegeben ist. Gleichzeitig stehen sich die beiden Begriffe auch diametral entgegen insofern, dass ein Glauben (egal an welche Instanz/Objekt) eine Umgehung der Sinnfrage darstellt. Dies in dem Sinne, dass es keinen Sinn ergibt, der Sinnfrage nachzugehen, weil eine letzte Antwort nicht möglich ist.

„Du musst an dich glauben, dann schaffst du alles!“ An was glauben wir denn, wenn nicht an uns? Was impliziert dieser Motivationsspruch? Was ist „alles“?

Unsere Welt ist gross, der Mensch ist aufgeklärt, unsere Gesellschaft ist differenziert, das Subjekt individualisiert – alles ist möglich und doch nichts, jeder entscheidet selbst. Und das täglich, jeden Tag aufs Neue. Dabei glauben wir daran, dass die getroffene Entscheidung die situativ sinnvollste ist in Bezug auf unser angestrebtes Ziel. Es sind Dimensionen zu unterscheiden, Entscheidungen lassen sich quantifizieren und doch liegt ihnen alle dasselbe Prinzip zugrunde: Sie sind glaubensgeleitet. Und auf die Verfolgung eines bestimmten Sinns ausgerichtet.


Wir können alles wissen und wissen danach viel weniger. Wir haben für alles eine Erklärung und bleiben in grösster Verwirrung zurück. Wir erfahren Leid, jeden Tag. Was ist das für ein Gefühl? Woher kommt es? Was bedeutet es? Bin ich damit allein? Bin ich nicht mehr normal? Wer bin ich überhaupt und wieso empfinde gerade ich derartige Regungen? Will ich wissen, was dies ist? Kann ich es überhaupt? Die Welt muss für uns, für jeden von uns, auf eine gewisse Art erklärbar sein – wobei Welten zwischen den Differenzierungsgraden der jeweiligen Erklärungen liegen. Dies gelingt uns mitunter auch mehr oder weniger gut, bis die Leiden zu erklären sind - sinnvoll zu erklären sind. Schmerz. Das unerklärliche Gefühl, dessen Ursprung wir nicht sinnvoll zu verorten wissen und wir uns einfach wünschen, es höre auf. Wir sehen den Sinn nicht, den dieses Gefühl uns vermitteln möchte. Wir glauben nicht, dass dieses Gefühl einen Sinn hat, weder im Moment der Empfindung, noch in der Zukunft so wie auch nicht aus retrospektiver Betrachtung.


Und doch können wir das Gefühl auch nicht einfach als sinnlos abtun und weitermachen. Der Mensch ist überfordert mit Dingen, die in ihrem Wesen der reinen Verbildlichung von Sinnlosigkeit dienen. Das zeigt uns schon das Prinzip der Ästhetik in der Kunst, welches darauf abzielt, den Nutzen der Sache in dem zu sehen, was sie in uns auslöst und was wir in sie projizieren können, sprich: welche Sinne tangiert werden durch die Wirkung einer Sache auf unsere subjektive Wahrnehmung. Also auch wenn ein Kunstwerk nicht einem gewissen Zweck dient, die Kunst für die Kunst, dann hat sie doch ihren Zweck in ihrer Auswirkung auf uns und trägt ihren Sinn somit in sich. Wir können uns nicht damit abfinden, dass etwas per se sinnlos ist.

Wir erfahren täglich Leiden und leiden lässt sich nicht ästhetisieren. Der Mensch braucht die Möglichkeit, seine Leiden zu transzendieren, sie an etwas Sinnvolles zu koppeln: Glaube. Es ist ein Selbstbetrug, für den wir uns entscheiden. Die Welt wird für mich erklär- und manipulierbar, sie wird sicher und abstrakte, nicht zuordenbare Gefühle sind nicht mehr integrativer Bestandteil unseres Alltags. Doch die zentrale, alles relativierende Frage ist doch: Was passiert, wenn wir aus dem Schema rausfallen, was passiert in Ausnahmesituationen? Momente, die uns nicht von unserem Glauben abbringen wollen, nein, die uns zeigen, dass es eigentlich gar keinen Glauben gibt?


Gibt es wirklich keinen Glauben? Ich denke, es ist eine andere Ebene des Glaubens, die angesprochen werden muss, weil sie in der Gegenwart zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wir glauben an Symbolisierung, die im Kollektiv entstehen, weil ein Symbol seinen symbolischen Wert erst in der Bedeutungszuschreibung durch mehrere subjektive Ansichten erhält. Es der Moment, in dem du dich nicht mehr an im Kollektiv entstandenen Symbolisierungen festhalten kannst. Weil das Kollektivgefühl in unserer Gesellschaft nicht mehr so vorhanden ist, wie es auch schon war. Und weil die Tendenz immer mehr in Richtung Auflösung des Kollektivs geht. Es ist der Moment, in dem man den Glauben an die Symbolik aufgibt und man nicht mehr an der gesellschaftlichen (existenziellen und alltagsbezogenen) Symbolisierung des Lebens teilnehmen kann. Differenziert wahrgenommen ist es das Gefühl der Nichtzugehörigkeit, aber uns allen ist es auch unter „Angst“ bekannt. Es ist Angst. Weil wir alleine nicht mehr klarkommen, weil wir verlernt haben, in uns selbst zu Glauben. Die Welt ist eine riesige, nicht ausgemalte Schablone und die Farbstifte halten wir selbst in der Hand.


Der Kreis schliesst sich an dieser Stelle, wir müssen an uns selbst glauben, diese Tatsache ist unabdingbar. Aus unserem Inneren Glauben schöpfen. Nicht alle Ideologien aufgeben, nein. Sondern sie in uns verorten. Und sie mit Gefühlen fusionieren, die wir nicht einordnen können, die Unbennenbarkeit der Gefühle Teil des Wesens eben dieser Gefühle sein lassen und die Gefühle in ihrer Unzuordenbarkeit den Ideologien unterordnen. Dabei bleibt der abstrakte Charakter der Gefühle unangetastet und es wird uns möglich, Abstraktes zu konkretisieren. Die authentischste Schönheit liegt im nicht rationalisierbaren Gegenstand.


Glaube ist dieses Gefühl, wenn dein Herz lebt, wenn du spürst und siehst und weißt, wie sinnlos alles ist. Und dein Herz lebt, weil es an die Kraft der abstrakten, nicht zuordenbaren Gefühle glaubt. Denn sie sind das Schönste, weil sie doch das Greifbarste sind, was uns in dieser Welt zu verbleiben scheint. Greifbar aus den Tiefen unseres Inneren, näher bei uns als alles Andere. Dein Herz lebt und liebt. Und dieser Glaube in die Liebe, dieser Glaube letztendlich ist alles, dieser Glaube wird dich nie mehr verlassen. Es ist nötig, zu wissen und zu sehen, zu lernen und erfahren, denn sonst wird es nie möglich sein, diesen Glauben in dich selbst zu teilen. Und das Teilen dieses Glaubens ist Glück, ist alles, weil es die Relevanz alles Anderen negiert.

Es ist der Augenblick in welchem wir die Oberfläche ein für alle Mal hinter uns lassen, wenn wir erfahren haben, wie Sinnlosigkeit wirklich aussieht. Und trotzdem glauben. Denn dies ist der einzig ungetrübte Glaube, der sich mit der Sinnlosigkeit dieser Welt vereinbaren lässt. Und dein Herz pulsiert und die Sonne geht auf, geht unter, die Dämmerung zieht ein – und du glaubst. Und glaubst und lebst in diesem Glauben und plötzlich ergibt alles einen Sinn. Und dieser Sinn steht von nun an über allem und wird die Sinnhaftigkeit jeder neuen Schablone bejahen, und das Werkzeug darstellen, um deine Farbstifte zu spitzen. Und niemand wird dir diese Erkenntnis je wieder nehmen können.




 
 
 

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