Die endgültige Ruhe in deinem Zimmer
- Mona Dean
- 11. Aug. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Eigentlich möchte ich mich nicht immer wieder auf Fromm rückbeziehen, da sein Werk doch nun auch in vielen Aspekten überholt ist und auch seine grundsätzlich eher sexistische resp. despektierliche Haltung Frauen gegenüber nicht zu unterstützen ist. Nichtsdestotrotz schwebt mir der Begriff der «Symbiose» wieder ein wenig vor Augen, lässt mich gerade wieder nach einer eigenen Definition suchen und ich kann nicht leugnen, dass viele Grundaussagen Freuds mich immer noch sehr präzise gedanklich abholen.
„Echte Liebe ist Ausdruck inneren Produktivseins und impliziert Fürsorge, Achtung, Verantwortungsgefühl und Erkenntnis. Die Bejahung des eigenen Lebens, des eigenen Glücks und Wachstums und der eigenen Freiheit ist in der Liebesfähigkeit eines jeden verwurzelt, das heißt in seiner Fürsorge, seiner Achtung, seinem Verantwortungsgefühl und seiner Erkenntnis.“ (Fromm, Kunst des Liebens)
Am 1. Mai 2022 habe ich mich offiziell von der Vorstellung verabschiedet, hohe Anforderungen an den Erkenntnisgrad meines Gegenübers bezüglich meines Wesens zu haben. Inoffiziell geschah dies Silvester 2021/22 und interpersonell im März 2022 im Tessin, als der Himmel aus Kaleidoskopen bestand und ich mehr fühlte als ich sehen konnte. Als sich zwei Wesen vereinten und sich stillschweigend das Versprechen gaben, dass es okay ist, dass wir nie alleine sein werden in unserer Vielschichtigkeit.
Ein Tag nach dem ersten Mai lag ich neben dir im Bett. Nicht viel geschah, es herrschte die immerwährende Ruhe des Innenhofes, Vögel zwitscherten munter als Vorboten des Sommers. Es war nicht mehr als eine leise Ahnung bis dahin, die mich erst ein paar Wochen später einholen sollte. Dann aber mit umso mehr Gewalt.
Die Abgrenzung zwischen Liebe und Verliebt-Sein wird immer schwer sein und die Grundfrage bleibt bestehen, ob denn eine Abgrenzung überhaupt erforderlich ist oder ob sich an und für sich von einem Kontinuum ausgehen lässt. Verliebtsein geschieht schnell, hängt vom Moment und den Umständen ab, ist intensiv und schnell wieder vorbei. Dann gibt es jedoch die Momente, in welchen man einen Menschen besser und besser kennenlernt, auch die anstrengenden Seiten, sich dieser aber unter dem Deckmantel der allgemeinen Wohlgesinntheit diesem Menschen gegenüber annimmt.
Wenn also Liebe nur möglich ist, wenn zwei Menschen sich eigentlich aus den zentralen Elementen ihres Wesens heraus erleben und eine Verbindung aufbauen, dann müssen diese selbst auch erstmal Zugang zu ihrer eigenen Mitte schaffen.
Fürsorglichkeit – diese war immer da.
Stripping down layer by layer next to you. Ein paar Wochen später, wir liegen nebeneinander und es ist klar was jetzt kommen wird. Es war ja eigentlich schon die ganze Zeit klar und doch ist das Offensichtlichste manchmal das Erstaunlichste in diesem Leben. Der Zugang wurde uns geschaffen zueinander, wir haben langsam darauf hingearbeitet und den letzten Schritt dann im Eiltempo begangen. Sobald die Büchse der Pandora geöffnet war, gab es auch keine Geschwindigkeitsbremse mehr. Us being us. Was auch immer das heissen sollte, sprachloses Wissen, welches nur wir beide kennen. Us being us mit der Bedeutung in unserer eigenen Sprache.
Ich hatte dir versprochen, wiederzukommen und während die Wochen da so einherschritten, schien die örtliche Distanz irrelevant. Schicksalsschläge wurden zu unserem überregionalem Bande, mein Herz sehnte sich immer mehr nach dir, nach Gewissheit, nach Negation der Projektion.
Und ich kam wieder, ich kam wieder und diesmal nur für dich. Viel zu sagen brauchten wir nicht, Klarheit wurde trotzdem geschaffen. Der natürliche Verlauf des Flusses, keine Erkenntnis wurde forciert. Weil Erkenntnisgewinn nicht linear ist und Berlin = Erkenntnisgewinn^10. Und auch so wurde unsere Geschichte beschleunigt, unterliegend dem Ganzen unsere doch äusserst aussergewöhnliche Verbindung. Urvertrauen. So schien es.
«Liebes-Lied
Wie soll ich meine Seele halten, dass
Sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
Hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möchte ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
An einer fremden Stille, die
Nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied.» (Rainer Maria Rilke (1907) : Liebes-Lied)
Wir beide wissen, welches Lied es ist, das den Grundton unserer Dynamik angibt. Muss mich fernhalten von dir, fern von uns, denn jeder Beat führt uns magnetisch wieder zusammen. Unser Geiger? Der Sog des Lebens, die Neugierde auf was möglich wäre, die Magie des ersten Mals und die gesamte Unschuld der ersten Male. Der Geiger Berlin, der uns dazu zwingt, alles auszuprobieren, weil wenn nicht jetzt, wann denn dann? Puzzleteil, alles schien zu passen. Meine Schablone, erweitert. Ein süsses unschuldiges Lachen am Morgen, noch verschlafen, noch halb dem Reich der Träume zuzuordnen, ich greife dich von hinten und mein Atemzugvolumen scheint sich zu verdreifachen. Urgefühl. Doch zu den Gefühlen kommen Entscheidungen. Deine und meine, welche in rechtem Winkel zueinander stehen. Komplett verschiedenen Wegweisern folgen. Das Gefühl als dritte Achse in der Mitte, als einziger Konsensus, der uns bleibt. Das Gefühl als vorsprachliches Wissen, welches keinen Worten folgt ausser denjenigen unserer eigenen Sprache.
Du bist nicht mehr da, ich bin nicht mehr hier. Alles was mir bleibt, ist dein Wegweiser, versuchte deinem Pfad zu folgen, weil ich den Bach unserer Gefühle nicht komplett aus den Augen verlieren wollte. Bis mir klar wurde dass dein Wegweiser eine Sackgasse ist – Dead End. Habe es genossen, mich der Vorstellung von Fremddetermination einen Augenblick hinzugeben. Habe gedacht, wir hätten etwas ganz Besonderes geschaffen – wollte mich bis zum Schluss nicht der Desillusionierung hingeben. Doch nun ist er leider gekommen, der Schluss. Wollte Fromm überholen von der Vorstellung, dass Liebe eine rein persönliche Erfahrung ist (letztendliche Einsamkeit und so). Versuche mir diese Annahme nun zu Nutzen zu machen – Sinnhaftigkeit unserer Momente. Mich ein Schritt näher gebracht, mich so zu öffnen, dass überhaupt eine leise Hoffnung besteht. Unsere Diskussionen: weitere Schlüssel. Ein Raum voller flatternder geflügelter kleiner Schlüssel jeglicher Form und Funktion, vielleicht erinnert ihr euch ja. And you definitely helped me catch some of them. Die Hauptvoraussetzung für Liebe: Überwindung des eigenen Narzissmus. In meinen Augen ein Umfangen, welches uns schon im Vorfeld gelungen.
«An einen anderen glauben heißt so viel wie sich sicher sein, dass der andere in seiner Grundhaltung, im Kern seiner Persönlichkeit, in seiner Liebe zuverlässig und unwandelbar ist.» (https://www.sinndeslebens24.de/klassiker-die-kunst-des-liebens-von-erich-fromm#:~:text=was%20wir%20lieben.-,“,“ Stand: 11.08.2022)
Wandel, Wandel, Spieglein an der Wandelwand. Vertrauen wird rar, Verlass schwierig. Denn wir sind starken Zeiten des Wandels unterworfen. And I don’t blame you, this is everything else than to blame somebody! Postcorona. Krieg. Hitze, die unser Hirn verdampfen lässt. Verlockung an jeder Ecke, die Sünde ruft von hinten, vorne, oben und unten. Etliche kleine Steinchen lenken deine Persönlichkeit mit jedem Schritt in eine neue Richtung, lassen dich da stehen mit grundliegender Verunsicherung. Du wusstest, der Weg wird steinig werden. Ich nehme all meine Kraft zusammen und breite meine Flügel aus. Verlasse den Pfad, der deinem Wegweiser zugrunde liegt. Erhebe mich über meinen selbsterschlossenen Weg, lasse meine Vorstellungen, Idealisierungen, Wünsche und Projektionen da unten liegen. Du willst einen Schritt zurück? Ich fliege weder zurück noch nach vorne, ich fliege nach oben in die Ferne. Erhalte meinen klaren Blick zurück, spüre mich im Gespann der Winde. Ich spüre mich. Ich sehe dich, auf deinem Weg. Ich bin da, nun wieder wertungslos, wie dir versprochen. Suche das Urvertrauen zwischen den höchsten Bergspitzen, maybe they're squeezed between the top of a mountain. Mein Herz ist es, welches entscheidet, was es empfindet. Und dem sollte keine Grenze durch fremde Ängste gesetzt sein. I love you, thats a silent promise I made and we both are aware of it. There are no other unspoken words in the air when we just lay there with nothing left to say, not able to do anything else but keep starring into each others eyes and telling us the stories, we see in the us. I keep repeating. Two lost little hearts, beating like drums in the grey because we’re afraid to make a decision, to finally see that sometimes theres nothing but black and white. Was die letztendliche Intention ist: Ich will weder Schwarz noch Weiss und auch kein Grau hier haben. Sparkling. Alle Farben. Ein Abschied an Vision, ein Schritt näher zum Urvertrauen. Meine Flugbahnen werden weiter und weiter, ich sehe Blumen und weite Felder, dichte Wälder und Schmetterlinge. Ich sehe Bergspitze. Ich sehe Vorstadthäuser, ich sehe Kinder auf Spielplätzen. Ich sehe den Rhein, ich spüre die Weite. Ich sehe den Fernsehturm, ich sehe das Berghain. I can see it all. Irgendwo bist du, irgendwo sind die Anderen und irgendwo dazwischen befindet sich meine Landebahn.
«Abschied
Wie hab ich das gefühlt was Abschied heisst.
Wie weiss ichs noch: ein dunkles unverwundnes grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
Noch einmal zeigt und hinhält und zerreisst.
Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschuaen,
das, da es mich, mich rufend, gehen liess,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiss und nichts als dies
Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes-, schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflauemnbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgefolgen.»
(Rainer Maria Rilke (1907): Abschied)
Also gehts ja doch schlussendlich nur um Erkenntnis. Aber diesmal glaube ich auch wirklich daran.
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