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Endlos, endlos verliebt (endgültig verflucht?)


Endlos drehen wir uns auf dem Karussell aufm Jahrmarkt. Es ist Sommer und du hast mir einen überdimensionalen Teddy am Schiessstand klargemacht. Dazu hast du mir eine rote Plastikrose geschenkt. Ich halte den Teddy im einten Arm, im anderen halte ich dich. Der laue Sommerwind fährt durch meine roten zerzausten Haare. Das sich immerwährend drehende Karussell lässt die hintergründige Szenerie verblassen. Die verschiedenen Jahrmarktstände sind bald nicht mehr einzeln auszumachen, tausend Lichter tracen und keines lässt sich mehr zum Fixpunkt machen. Einzelne Jahrmarktbesucher verwandelt sich in eine vielköpfige bunte Menschenmasse. Kurz wird mir schwindlig, mein Blick schwankt hin und her, bis er aufgefangen wird von deinem zielgerichteten unerschütterlich ruhigen Blick. Deine Augen werden zum Fixpunkt, das Schreien der kichernden Kinder und das Rauschen des Windes, die Jahrmarktansagen und die trashigen Popsongs werden immer leiser, je länger es mir gelingt, deinem Blick standzuhalten.


Wir sitzen auf dem Karussell und drehen uns und träumen von der Liebe. Wir träumen davon, unseren Platz in der Welt zu finden, wenn das Karussell aufhört sich zu drehen. Haben nicht aufgehört daran zu glauben, dass die Welt uns mit offenen Armen empfangen wird. Fairy, Fairy, das Fairy Tale von der Fairness des Lebens, an welche Erfüllung wir uns bis zum bitteren Ende klammern. Meine Hand klammert sich um die weisslackierte Karussellstange, deren Lack an gewissen Stellen schon abgeblättert ist. Weiter vorne auf dem Karussell sitzt eine grosse zierliche Prinzessin von strahlender Schönheit. Die langen Zöpfe fallen ihr bis zu den Hüften und scheinen der Drehung des Karussells zu trotzen, indem sie stoisch keinen Wank tätigen, während das Karussell sich dreht und schwankt. Die Jahrmarktslichter lassen ihre Wangen golden strahlen. Die Prinzessin guckt verträumt in den Himmel, das Gewirbel der Farben scheint ihr nichts auszumachen, was wohl ihr Fixpunkt sein mag? Einen kurzen Moment gerate ich erneut ins Schwanken, weil ich weiter vorne einen jungen Mann erspäht habe, der beige Mantel reicht ihm bis zu den Knien. Stattlich sitzt er im Sattel und hält einen Holzstab mit goldener Fassung in der linken Hand, mit der rechten Hand führt er eine grosse Kamera. Ich halte Ausschau nach seinem Leitmotiv, da fällt mein Blick auf die Prinzessin. Endlos dreht sich das Karussell weiter und ich gerate ins Schwanken. Plötzlich fasst eine Hand die meinige von hinten und gibt mir erneut Halt. Es ist ein unerwarteter Griff, fühlt er sich dennoch schön und vertraut an. Eine helfende Hand, mit welcher ich nicht gerechnet hätte. Und auch wenn die Hand klein sein mag, dann ihr Griff umso stärker. Es ist eine Hand, die so manchen strauchelnden Seelen schon geholfen hat, eine Hand, die bereits in Berührung mit der profunden Sinnlosigkeit des Lebens gekommen ist. Ich spüre das Band des Leides eine Verbindung zwischen uns kreieren. Weltschmerz, wir teilen unsere Tränen.

Noch immer sind wir auf dem Karussell. Ein Karussell kennt weder Höhe- noch Tiefpunkt. Ja, habe mir keine Sekunde Gedanken drüber gemacht, dass das Karussell sich nicht mehr drehen möge. Endlos, Runde für Runde. Wir sitzen auf dem Karussell und mit jeder verstrichenen Runde verkennen wir unsere Ängste mehr. Meine Angst verblasst im Menschenrummel, weicht etwas viel Mächtigerem. Meine Angst, die ich hier noch nicht kenne. Wir sitzen da, wir sind da, wir sind endlos verliebt. Verliebt in das Leben, die Möglichkeiten, verliebt in den Sommer. Das Karussell dreht sich immer weiter, wird sich auch weiterdrehen, wenn ich abgesprungen sein werde. Ehrliche Naivität, die treibende Kraft des Karussells. Mit euch bin ich auf alle Zeit dreizehn, naiv und endlos, endlos verliebt.


 
 
 

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