Ewiges Nimmerland
- Mona Dean
- 28. Sept. 2022
- 2 Min. Lesezeit
"Wir sind doch nur Kinder im Erwachsenenkostüm. Unsere kindlichen Ideen, konserviert wie uralte Insekten, umhüllt vom Harz eines noch älteren Baumes. Früher habe ich mir immer gewünscht, ins Nimmerland reisen zu können und mit Peter Pan und Wendy und all den anderen zwischen den Baumwipfeln zu fliegen. Hier fühlt sich dieser Traum fast wirklich an." (E. Karadjuzovic, Berlin September 2022)
Jeden Abend, wenn ich aus dem viel zu engen Alltagsgewandt geschlüpft bin, setze ich mich Zuhause auf die Fensterbank. Ich schiebe das Fenster hoch, zünde mir heimlich eine Kippe an und blase den Rauch hoch zu den Sternen. Ich bin Wendy, warte noch immer jede Nacht auf dich, Peter. Dass du mich abholst und mitträgst zu all dem, was schon gewesen ist. Was für mich nur noch mit einem Hauch der Nostalgie greifbar ist, während es Andere überrollt wie ein Tsunami. Es, das Leben. Chronologie der Zeit, schon wieder diese verdammte Zeit. Und wenn ich da so am Fensterbrett verweile, dann doch insgeheim geleitet von tiefster Sehnsucht nach dir. Sehnsucht nach dem Leben, das vor Möglichkeiten nur so strotzt. Sehnsucht nach dem Kribbeln unter der Haut, wenn man loszieht und weiss – heute Nacht könnte alles möglich sein. Heute Nacht wird ein bestimmtes Gefühl vielleicht zum ersten Mal gefühlt, wird man plötzlich von einer Erkenntnis getroffen, welche alles um 180° verändern kann, heute Nacht könnte ich vielleicht irgendwo über dich stolpern und für unmöglich gehaltene Nähe könnte symbiotische Realität werden.
Relative Realität. Fliegen gemeinsam durch die Nächte, warten auf den Dächern der Grossstadt darauf, dass die Wolken wieder lila werden, wir die lila Brille aufsetzen dürfen. Uns in vollem Bewusstsein ihrer zimtzuckersüssen Gefühlsillusion schwelgen können. I told you, I’d take it, I’d take it all because we deserve to get as much as we can. Flugzeugstreifen am Horizont flimmern, schon brennt gleissendes Sonnenlicht auf mich runter, ich löse mich auf und greife nach deiner Hand. Deine Hand, dein Blick, dein Kuss – das spezielle Wissen in diesem Moment um dessen absolute Aussergewöhnlichkeit, dieses Wissen, das wir beide teilen und das uns eint. Blinzeln. Jahre sind vergangen und ich sitze auf der Fensterbank, drücke meinen Zigarettenstummel in den Aschenbecher. Ich meine ein kleines Rascheln in dem Ahornbaum meines Vorgartens auszumachen. Schärfe meinen Blick, spitze meine Ohren, bis hinter mir eine vertraute Stimme meinen Namen ruft. Ich stehe auf, nehme noch einen tiefen Atemzug der klaren Abendluft und schliesse das Fenster.
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