Frühjahrs Fragmente
- Mona Dean
- 16. Juli 2023
- 4 Min. Lesezeit
Der Sandmann (21. März 2023)
»Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen, und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkinder Augen auf« (E.T.A. Hoffman 1816: Der Sandmann, S. 9)
Letzte Nacht wilden Krams geträumt, so wild dass ich mir wünschte,
dass du meinen Kopf zwischen deine starken Hände packst,
ihn einmal, zweimal schüttelst,
bis alles wieder hat seinen Platz
Dementor, Dementor in der Ecke
warte doch wenigstens kurz,
bis ich mein Innerstes verstecke
scheinhaft süsses Blut ist es, das ich schmecke
dass ich dir von deinen sanften Fingerspitzen lecke
schon dringt eine ferne Melodie zu mir vor
schliesst für heute Sandmanns Tor
bitte habe Eil', bitte kein Verweiln
die ersten Töne einer anderen Welt
einer Welt, in der die Angst nicht mehr zählt
my madness has a soundtrack to it
Zuversicht (16. April 2023)
Würgen, es liegt mir auf der Zunge
bleibt mir im Hals stecken
sie wollen schreien
taube Fingerkuppen reiben aneinander
ich habs vergessen, warte, ich weiss es doch gleich wieder
und sie alle tanzen, nein sie schreien, sie rufen mich
dreh dich um - dreh mich um, Angst zu erstarren - für immer zu Stein
ein Blick zurück und ich sehe dich
sehe sie alle wie sie schreien «Zuversicht»
blau, rot, wir leuchten alle Zuversicht
Worte reihen sich aneinander sinnlos,
vor langer Zeit übermacht gewonnen
es plätschert
Zuversicht
in Anbetracht aller Bedauernisse glücklich sein
hat man es euch denn nicht verraten?
der Brunnen plätschert immer weiter
golden schimmernd im Licht der untergehenden Sonne, die beständig am Firmament verweilt für diejenigen, die sich trauen, zurück zu schauen
Insomie (17. Mai 2023)
dreh mich nach links, sie dreht sich mit
dreh mich nach rechts in dem verzweifelten Unterfangen, sie abzuschütteln
sie, meine altbekannte Gefährtin
ungefragte Besuche zur stillen Stunde
alles dreht sich, von oben nach unten
sie bringt mich wieder näher dem Untergrund und die Sterne rücken weiter in die Ferne
ich setz mich an den Bettran, spüre die Erinnerung sich wie eine grauer schwerer Mantel um meine Schultern zu legen
merke, wie ich immer noch warte bis alle Lichter wieder angehen
der Atem flach, das klitschnasse Shirt hängt mir klebrig über den Schultern
Heute morgen (3. Juli 2023)
Heute Morgen denk ich besonders fest an dich
denke daran, wie viel Kraft es doch abverlangt innerlich
stets einen gewissen Anschein zu wahren
ohne ja zu viel zu offenbewahren
aber auch sonst denke ich an dich, immer wieder
der lila Klecks auf dem weissen Sofastoff, ein stilles Testat deiner impulsiven teils quirligen Art
und manchmal, aber auch nur manchmal an Tagen wie diesen, ja da frag ich mich
weisst du, so ganz unschuldig und ehrlich
das Leben ist doch komisch,
versuchen wir stundenlang, mit grossem Bestreben in höchster Intimität zu verschmelzen und gegen selbsterrichtete Wände anzukämpfen
wo doch ein stiller Moment, ein ehrlicher Blick in deine Augen die Mauern in sekundenschnelle komplett herunterriss
Wir treffen uns, wenn alle weg sind (15. Juli 2023)
1000 und eine Nacht - wach
dysmorphe Gedanken formen sich
werden zu Ketten, die bitter nach Rost schmecken
Nacken, geziert von Rostspuren
ein Meer an Träumen, an Fragmenten, an Worten
an mir ists, diese richtig zu verorten
und ich werde geweckt von uniformierten Männern, die stillschweigend die mit einem Totenschädel gezierte Gartenfassade reinigen
blinzle ein, zweimal, ich kneif so lange die Augen zu, bis alles verblasst, grau
Draussen blitzt es und alles flimmert,
ich öffne die Augen erst wieder als sie weg sind
eiskalter Wind
alle weg sind
Dich getroffen hab ich wohlgehabt an unserem fortwährend geschützten Platz
den ich hüte, vor allen, mein einziger Schatz
in 1000 und einer Nacht hab ich dich getroffen
erstes Erwachen, gleiches Hoffen
knote das weisse Seidenband meiner Strapsen zu endlos vielen Knoten
der Endpunkt, endlich schlingen sich deine Arme von hinten sanft um meine Taille
ich verweile
spüre dich, uns
stilles Versprechen beim Blick in deine Augen
Wie viele denn noch?
Wir treffen uns, wenn alle anderen weg sind
Schnappatmung, werde wach und auch die letzte Wahrheit wird verflüssigt zu Schall Rauch, grau
Abbild einer Silhouette
Ihre Ansprüche bilden sein Gewand
Ein Konstrukt, hinter dem er sich nicht mehr länger verstecken kann
Ihre ungefragten Urteile knüpfen sich aneinander,
biegen und winden sich, ein Massband, geben seine zierliche Silhouette vor
Er begegnet ihre Blicken, findet sein Spiegelbild
Auf dem Grunde ihrer Augen wieder
Und auch wenn er sich die Ohren zuhält, dann längst vergebens
Gesungen werden jeden Tag dieselben Lieder
Kleider machen Leute,
Leute machen Kleider,
sein ihm aus fremder Hand auserwähltes Gewand
auf Ewig dazu verdammt,
es zu tragen
Er tastet an sich runter, seine Finger sind nun taub
Feuer zu Asche, Asche zu staub
Ihr habt ihm mit euren Worten seine letzte Flamme geraubt
Schlummer
Mit jedem Schlummern näher einem ursprungsähnlichen Gebilde
Jedes Erwachen bringt Neuorientierung
Wo bin ich dieses Mal wieder gelandet? Gestrandet?
Bin ich alleine?
Das Gegenteil von Zuversicht, wenn langsam die Sonne untergeht
Letztes Tageslicht und gleichzeitiger Abschied
Ich verabschiede nicht den Tag, sondern einen gewissen Zustand
Keiner kann verweilen zu lange am Ursprung,
ohne sich zu verlieren
ohne sich zu verbrennen, ohne zu erfrieren
verabschiede glimpflich diesen Zustand, der sich ausserhalb des Gefüges von Sekunden, Minuten und Stunden ereignet
Verflucht und zeitgleich gesegnet
Zeitloses Zeitgeschehen, ist es wieder Zeit zu gehen?
Im Zeitgeschehen zu Zweit zu gehen wissen wir doch, ist ehrlicher als einen Teil zu nehmen
Schlummer
Nahe an der Dämmerung, bin ich denn allein?
Sind wir endlich daheim?
Deine Hand wird zum Rettungsseil,
weil
der Hang zurück ins Tal verläuft steil
verzweifelter Versuch mich zu überzeugen, dass noch nicht alles vorbei ist
vorbei sein wird
Anfang vom Ende, ende vom Anfang?
Es ist und bleibt ein steiler Hang
Schlummern, die Augen bleiben geschlossen, der Dunkelheit Dämpfung walten lassen
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