Frühlingserwachen '22
- Mona Dean
- 7. Apr. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Frühling und Herbst, ihr seid intensiv, seid vergänglich und lässt mich keine Sekunde vergessen, dass alles nur temporär ist. Anders als Sommer, der mit seiner Hitze in Vakuum uns packt. Anders als Winter, der mit seiner Eiseskälte alles runterfährt.
Wieder ein neuer morgen, wieder liege ich im Dämmerlicht und wähle die nächste Playlist aus. Musik; ein Testat der eigenen Biographie, deiner Geschichte. Muss mich mal kurz wieder vergewissern, dass es ok ist, ja, dass es für mich in Ordnung wäre, wenn der Phönix in Asche aufginge. Deja-Vu: wenn ein Song dich so runterholt, dich innerhalb der ersten zehn Sekunden des Tracks von der Geschlossenheit deiner eigenen Biographie überzeugt. Eine ganze Playlist Song für Song so viel Erinnerungswert bereithält, dass du überzeugt bist, mindestens schon fünf Leben gelebt zu haben. Dich daran erinnert, dass dies alles Jenseits von gut und schlecht, Positivität und Negativität stattfindet. Dich daran erinnert, dass es letztendlich nur um dich geht, egal wie sehr du dich in Zeiten wie diesen dagegen sträubst.
Wo ist die Grenze? Wann ist genug?
Das ist kein Grübeln. Jede Höhe und Tiefe fährt durch die tiefen meines Bewusstseins und löst am richtigen Ort ein spezifisches Gefühl aus, das viel weiter als der Gedanke reicht. Lieg auf dem Rücken unterm Sternenhimmel und bin eine Verkettung meiner Eindrücke und Emotionen, die alles noch weiter auf die Spitze treiben. Wahllos kommen in mir Erinnerungen an Gerüche hoch, fühle Texturen unter meinen Fingern, spüre bereits verlassene und nie betretene Räume um mich, sehe und höre euch vor mir. Fetzen, Bruchstücke: je wacher ich werde, umso schwieriger sind sie zu fassen, umso mehr werden sie auf wenig und weniger Ebenen komprimiert: Alltagskonformität der Gefühle und Erinnerungen geschieht in den Morgenstunden. Zwischen Traum und Wachsein, wenn die letzten Töne verstreichen. Das Leben treibt mich voran, was nicht so verdammt schwer wär, wenn die Erinnerung nicht so plastisch auf jeder Sinnesebene verankert wäre. Und trotzdem tun sie mir leid, all die frontallappengesteuerten Wesen, die nie deep mit ihren Basalganglien connected haben.
« [Wir] sammeln alle Momente und Erlebnisse, die für den Moment, für die Zeitspanne ihrer Existenz oder ihres Geschehens schön und überwältigend schön waren, und prüfen in der Erinnerung, ob die Spur dieser Schönheit noch vorhanden ist. (…) [Man muss die Fähigkeit haben], nicht jede verfügbare Zeiteinheit unter Nutzkriterien zu betrachten. So ein Sternenhimmel ist ja auch super, wenn man gar nichts mit ihm machen kann, ausser ihn anzuschauen.» (Welzer (2021): Nachruf auf mich selbst. S. 157f.)
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