Gegen die Linearität der Zeit
- Mona Dean
- 15. Juni 2022
- 2 Min. Lesezeit
“Ihr wißt ja gar nicht, was das ist, eure Zeit! Aber wir, wir wissen es. Und wir saugen euch aus bis auf die Knochen. [...] Ein mühseliges Geschäft, den Menschen ihre Stunden, Minuten und Sekunden abzuzapfen. Immer mehr und immer mehr! Denn auch wir werden mehr! Immer mehr! Immer mehr!” (Ende, Michael (1972): Momo. Thienemann Verlag GmBH)
Alles um uns herum besteht letztlich nur aus Zeitpartikeln. Wo früher meine Bilder die Wand zierten, hängen nun wieder ihre Landkarten, zwischen Zustand A und B liegt nur die Zeit. Im Sonnenlicht glitzernd aufgewirbelte Staubpartikel - leise rieseln die Momente unaufhaltsam an mir vorbei. Tragen mich mit, hinterlassen Spuren. Ein neuer Morgen, wieder an Tag vergangen, ich wache auf und mein Herz pocht, nein, es hämmert. Tik Tok. Stehe zwischen den Gleisen, um mich rum lauter fahrende Züge, jedoch scheint keiner von ihnen einen Halt eingeplant zu haben.
Liege neben dir im Bett, Zeiteinheiten werden anhand zirkulierender Joints gemessen – mit unserer Zweisamkeit dehnen wir den Moment. Wir klammern uns verzweifelt mit allen Mitteln des Rausches an den Augenblick, versuchen das Gefühl von diesem zu entkoppeln - Marmeladenglasmomente halt. Und tanzend vor dem Bass wehren wir uns, die Uhr als universellen Zeitmassstab anzuerkennen. Bin eine grosse Anwärterin der Relativitätstheorie, weil du mein Zeitempfinden komplett relativierst. Wenn ich neben dir lande erinnerst du mich daran, dass das Leben ein fliegender Satellit ist und die Zeit zu oft wie im Fluge vergeht. Halten den Atem an, in der Hoffnung, die Linearität der Zeit umzukehren.
«Don’t forget abot the grief in transitions. Even when those transitions are objectively good, we’re always leaving something behind. Be careful that you don’t confuse your grief as an indicator that the transition is wrong. » (Vienna Pharanon)
Ein Jahr wird zum meinem neuen Gewand aus Erlebnissen, weil Kleider ja bekanntlich Leute machen. Ich versuche so viel mitzunehmen wie möglich und trotzdem Platz zu lassen für alles Kommende. Schliesse die Augen und sehe, spüre in meiner Brust, was alles zeitgleich in diesem Moment möglich wäre. Kein Bedauern über diese nicht eingetroffene Realität, leben mit Ungewissheit: versuche immer noch krampfhaft, mich mit Schrödingers Katze anzufreunden. Zeitgleich spüre ich tiefgehende Trauer, will diese nicht werten sondern nur dankbar sein über ihren Tiefgang. Mit dem Abschluss erst öffne ich die Büchse der Pandora, werde überregnet mit Erkenntnissen, denen ich nicht mehr weiter ausweichen kann. Erkenntnisse, die sich immer mehr zu einer einzigen Wahrheit herauskristallisieren: alles ist irgendwann vorbei, all beauty is vain. Jetzt ist «Jetzt» Vergangenheit. Unaufhaltsam. Und schon ist «dann» jetzt zur Gegenwart geworden. Aber wie kann etwas vorbei sein, wenn «Jetzt» ja aus Vergangenheit resultiert? Key Moment, weil alles so kommen musste, du weisst was ich meine – Manifestation, jenseits von Zeit.
Nicht mal auf unserem Hügel, am Abgrunde der Zeit gelingt es uns, diese zum Stillstand zu bringen.
Menschen, Freundschaften, Bekanntschaften, geteilte Momente. All meine verwunschenen Kinder, ihr bringt mir jeden Tag einen Teil der gestohlenen Zeit zurück. Erweckt eine Dimension in mir, die ausserhalb jeglichen zeitlichen Fassungsvermögen existiert.
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