Hainweh
- Mona Dean
- 16. Dez. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Ein schüchterner Tropf klopft von unten zuerst zaghaft
dann in zunehmender Frequenz
leicht störende Interferenz
man munkelt er sei ein Vorbote aus der Unterwelt
scheint trotzdem klein und allein zu sein
Sein Stürmen und Drängen nimmt zu,
erklingt diffus von Fern und Nah
im Anhang bringt er grosses Gefilde
subtil erobert er den ganzen Raum
bis ihm gelingt der Durchbruch aus dem Untergrund
Der Bass zieht folgsam hinter ihm her
dicker zäher Nebel verbreitet sich in der Halle
schlängelt sich durch der Massen Knöchel
und webt sein Netz
und eh sichs einer versieht - ists auch schon um sie geschehen
alle nun fortan Sklaven Talimanns Melodie
man hat sie nie mehr wiedergesehen
Heute hab’ ich Hainweh. Was ist das?
Konträrer Gedanke: Was ist es nicht?
Stehe morgens auf, laufe zur Kaffeemaschine und lasse mir gleich zwei raus, einen für jetzt und einen für auf den Weg. Hab nicht so viel geschlafen - dank des über Jahre aufgebauten Schlafdruckes aber prädominant im Delta-Wellen-Flow. Tiefer Schlaf, nie genug. Nebenbei hole ich mein Handy raus und suche auf Google Maps die schnellst verfügbare Route. Lieber den Weg über den City-Ring oder doch lieber direkt auf die Autobahn? Mit Route 1 spare ich 3 Minuten, aber wenn auf Route 2 Stau anfällt, dann ist Route 3 doch immer noch schneller. Et voila, dampfenden Kaffee in der einen, Handy in der anderen Hand eile ich ins Badezimmer. Versuche die drei ungehörten Sprachnachrichten über das Vibrieren meiner elektrischen Zahnbürste bruchstückhaft zu entschlüsseln, um mir dann den Rest sinnhaft erschliessen zu können. Knöpfe die Jacke zu, werfe die Wäsche noch ein (natürlich Sparprogramm) und verlasse das Haus. Losgehen in dem Bewusstsein, dass man frühestens in 12 oder mehr Stunden wieder zurücksein wird. Im Zug höre ich mir die drei verpassten Vorlesungen an, alle doppelte Geschwindigkeit. Einen Abschnitt fahren wir parallel zur Autobahn, neben den Autos ziehen wir vorbei – in doppelter Geschwindigkeit. Der Zug ist zu spät und somit bleibt mir nur die halbe Zeit, das Gleis zu wechseln, um meinen Anschluss im Anschluss nicht zu verpassen. Draussen schneits zuerst, dann regnets, die Tropfen fallen immer schneller und schneller. Und weil ich dann doch zu spät im Meeting bin, muss ich mein Anliegen halt doppelt so schnell vortragen. Mittags hole ich mir ein Sandwich und erledige alles, was es noch zu erledigen gibt. Im Wissen, das sich mit doppelter Effektivität das zu Erledigende nicht halbiert, sondern auch doppelt so schnell wenn nicht exponentiell nachwächst.
Leute, alles gar kein Problem, das machen wir mit links.
Hainweh. Sehnsucht nach einem Zustand, der ausserhalb der Zeit existiert. Ausserhalb von Nutzenoptimierung und Effektivitätsbilanzierung. Natürlich stellvertretend für Sehnsucht nach so viel Anderem. Such dir deine innere Freiheit, dann bist du für immer erlöst.
Schwebend zwischen Tiefenzugang zum eigenen Seelenplan oder Sorgenplan, so ein dünner Vorhang, fragil wie weisses Kreppapier, hab doch gar keinen Plan. Brauche einen Konterpunkt zum intrinsisch über Jahre institutionalisierten, meine Lebensqualität vernichtenden Leistungsdruck. Berlin-Psychose. Berghain-Psychose, das Irrenhaus tief im Herzen. Vor der Function ist eine Sekunde 10 Minuten, drei Stunden fünf Minuten, ein Gespräch eine Ewigkeit. Sagen wir, es macht den rechten Ventrikel aus, mit Berlin die rechte Kammer inklusive. Linkes Atrium und Kammer bleiben hier, bleiben Basel, bleiben Leisten und Funktionieren, den Körperhaushalt, die lebenswichtigen Funktionen aufrechterhalten. Und doch sinken meine Energien ab in den rechten Ventrikel. Dieser pulsiert im blauen und roten Strobo, je nach Flussrichtung des Beats, brauche keinen Doppler um die Stromrichtung auszumachen – Stromrichtung direkt in meine persönliche Hölle. Stehe auf dem Podest und mein Blick fällt auf euch, wir alle singen heute mit, fröhliche Weihnachtszeit. Surreales Zeitbewusstsein in diesen Wänden, wir verwandeln uns kurzweilig in eine grölende Menschenmasse, hinterhältige Fröhlichkeit, merry evil christmas. Ein mulmiger Geschmack bleibt über, denn was das neue Jahr bringen wird, bleibt derweil ungewiss. Ungewissheit auf globaler Ebene, Ungewissheit in meinem Innern. Kleine Ankerpunkte, Widerhaken in meiner Herzhinterwand, im linken sowie im rechten Ventrikel. Der Feenstaub juckt mich unter den Fingern, doch finde ich nicht mehr Ventil als ein paar hastig niedergeschriebene Tagebuchnotizen. Du musst gerade schlummern, Herzchen. Es ist nicht an der Zeit, um kreativ zu sein.

https://www.youtube.com/watch?v=2BqDJBeSfO8
😉