Lichterketten, scheinheilige Adventszeit

«OXYTOCIN
Hirnaffen, gefühlte Chemie –
Rezeptoren für Jung und Alt, ihre
Amygdala schreit: Love me!
Dopaminträger, neuronal gestrickt –
Orgasmus ist Trumph –
Risiko und Nebenwirkungen inbegriffen …
Cortexgetrieben, postnatale Idiotie – 
Alphabet lernt ihr, aber
Amygdala weiss: Love me!» 
(Adrian von Nettesheim (2019) : Ficken Berlin, Gedichte FSK 18. S. 78)

Und wir taumeln verstreichelt durch die Gassen, es ist dunkel und kalt - so eine stille Nacht halt. In den Häusern, die wir kreuzen, brennt warmes einladendes Licht. Trashige Lichterketten blinken unermüdlich in Schaufenster gespenstisch verlassener Geschäfte. Und leise rieselt der Schnee auf unsere, heute unberührt unschuldigen Haupte. Ich will dieses Gefühl konservieren, es zu Mehl zermahlen und Lebkuchen daraus backen. Das zuckersüsse Lebkuchenherz an meiner Zimmerwand aufhängen, auf dass ich in Jahren lächelnd darauf zurückblicken kann. Werd mich achten müssen, mir nicht aus Sehnsucht im Alter am Herzchen die Zähne auszubeissen.

Heute sind wir kleine Adventsengel und dürfen uns noch in ehrlicher Naivität schwelgen. Heute flattern wir mit unseren kleinen Flügeln und werfen für einen Augenblick alle Verantwortung von uns ab. Unser Lachen bildet den Motor unserer Flügelchen und so flattern wir über die Dächer Berlins. Kälte kann uns nichts anhaben, so warm wie heute war mir schon lange nicht mehr.

«Pommes
So schwer bestellbar
Für meine Freunde 
Ein wenig Mayo
Nicht vegan» (Leon G., 2021)

Saturday night fever, sunday morning timelessness. Schon wieder zwölf Stunden getanzt, geschwitzt und geschneit auf dem Dancefloor. Draussen schneit es weiter. C13H16ClNO wird ersetzt durch schweres H₂O: Ich werde empfangen von dicken schweren Schneeflocken, die den mich nicht loslassenwollenden Bass abdämpfen. Die Stadt erwacht langsam und aus den Schornsteinen quillt den Schneenebel durchdringenden Rauch. Bis auf die Knochen durchnässt komme ich Zuhause an, doch die Nässe kann mir heute nichts anhaben. No Come Down Baby, die Treppenstufen tragen mich hoch in den 5. Himmel. Erblicke von weitem die brennenden Lämpchen unserer Lichterkette in unserer Küche und mir wird ganz warm ums Herz. Am andern Ufern tanzen Leuchttürme im Wind, zum Frühstück gibt’s Kartoffeln mit Migrationshintergrund.

Es sind Tage und Momente wie diese, die den Glauben an die Schicksalhaftigkeit des Lebens zurückverleihen. Den Glauben, dass alles exakt so kommen musste. Es musste so kommen, damit wir in diesem einen Augenblick dieses Gefühl der Vollkommenheit verspüren dürfen. Momente, die den Glauben an den Glauben zurückverleihen – Z u v e r s i c h t. Aussicht, Weitsicht, Licht in Sicht, meine kleinen süssen Weihnachtssterne. Ihr seid mein "alles-wird-gut", mein Konter zum Endpunkt. Unsere Verbindung lässt die Endlichkeit des Lebens verschwimmen, formiert die Stringenz des Lebens neu. Das Leben ist eine Lichterkette bestehend aus Momenten des Glücks und der Seligkeit, verbunden durch die schwarze Schnur der sich alltäglich verkettenden kausalen Ereignisse, die in ihrer Kausalität wieder zum nächsten Lämpchen in der Lichterkette führen. Ihr seid meine conditio sine qua non, mein Oxy, die Bezwinger meiner Amygdala <3

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